22.10.2017, 23:11 Uhr

Die Wahner Heide im Fokus der Interessen: Ein Rückblick auf 200 Jahre

Ein Vortrag von PD Dr. Nils Franke vom Wissenschaftsbüro Leipzig auf Burg Wissem.

…im Rahmen der Ausstellung „Eine Beziehung im Wandel: 200 Jahre Schießplatz in der Wahner Heide und die Troisdorfer Bevölkerung“, am 16.10.2017.

Der Titel allein verriet noch nicht, was im Fokus des Vortrages stehen würde, das verriet uns Dr. Franke dann nach der Einführungsrede von Frau von Berg vom Portal Burg Wissem: Die Menschen bzw. Akteure, welche die Geschichte der Wahner Heide geprägt haben, darunter Vertreter von Militär, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Naturschutz, Kommunen, Tourismus. Und unter diesen hat er sich für diesen Abend die Naturschützer heraus gepickt, nicht zu verwechseln mit den Umweltschützern, zwischen denen man differenzieren muss, wie wir an diesem Abend noch erfahren würden.

Wahner Heide: es ist kompliziert

Vorab: natürlich hat es immer auch ein intensives Wechselspiel zwischen den Vertretern dieser Interessengruppen gegeben, und der 1-stündige Rahmen des Vortrages konnte nur anreißen, was da alles eine Rolle spielt und ineinander greift, und was man sich noch genauer anschauen könnte und müsste, um zu verstehen, warum es in der Wahner Heide so (kompliziert) ist, wie es derzeit nunmal ist. Ein Ansatzpunkt ist vielleicht der: Heide an sich ist kein natürlicher, sondern ein von Menschen geprägter (über-)nutzter Landschaftstyp mit mager-sandigen Böden, so auch die Wahner Heide. Das Besondere an der Wahner Heide ist ihre Vielfalt an Lebensräumen, die es so in der näheren rechtsrheinischen Umgebung nicht mehr gibt, eben nicht nur trocken-sandige Standorte sondern auch Moore, Alt-Eichenwälder, Auwald, Feuchtwiesen,…

Entstanden ist die Wahner Heide durch die jahrhundertelange extensive landwirtschaftliche Nutzung, Viehtrieb, Plaggenwirtschaft, Torf- und Tonabbau, bescheidener Getreide- und Kartoffelanbau. Ab 1817, nach der Zuschlagung des Rheinlandes an Preußen, kamen zwei weitere Player dazu: die Forstwirtschaft und das Militär, wovon letzteres einen vorrangigen, bis heute nachwirkenden Einfluss ausüben sollte. Über mehr als 100 Jahre war das Gebiet als „Schießplatz Wahn“ bekannt, und nicht als „Naturschutzgebiet Wahner Heide“, wovon zahlreiche Postkarten zeugen „Mit Grüßen vom Schießplatz Wahn“, die u.a. in der Ausstellung zu sehen sind.

Wann aber fing das dann an mit dem Naturschutz in der Wahner Heide?

Um das zu klären spannte Dr. Franke den Bogen zurück zu den Anfängen der Naturbewegung, in die Zeit um 1870, als im Zuge der Industriealisierung den Menschen bewusst wurde, dass die Naturlandschaft eine bedrohte war, die man schützen musste, man ging nicht mehr nur „raus“ um zu arbeiten (auf dem Feld), man ging bewusst raus in die Natur (vorzugsweise am Wochenende, als Städter, Stichwort Wandervögel), um die romantische Naturidylle zu genießen. 1906 schließlich mündete diese Bewegung im amtlichen Naturschutz, Verbände hatten sich gebildet, v.a. der Deutsche Bund für Vogelschutz (Vorläufer des heutigen NABU), es wurde die „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen“ eingerichtet und es gab ehrenamtliche Naturschutzbeauftragte.

Zu Kaisers Zeiten: Militärisches im Vordergrund

Auf dem Schießplatz Wahn war der Naturschutz 1906 noch nicht angekommen, stattdessen war der Besuch des Kaisers Wilhelm II: im selben Jahr ein großes Ereignis, militärische Belange waren nach wie vor vorrangig. Das änderte sich mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918, der Kaiser war weg, das Rheinland, einschließlich Schießplatz Wahn, gemäß des Versailler Vertrages entmilitarisiert, den Alliierten war eine Naturschutz-Idylle lieber als eine weitere militärische Verwendung.

Mit dem Abzug der Besatzungsmächte bekam die Naturschutz-Idee eine Chance. 1927 erschien das bahnbrechende Buch von Carl Rademacher „Die Heideterrasse zwischen Rheinebene, Acher und Sülz. (Wahner Heide)“, mit Beiträgen von Fachleuten verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Damit wurde die Wahner Heide von offizieller Seite erstmals als wertvoller Naturraum benannt und die schützenswerte Tier- und Pflanzenwelt beschrieben. 1931 wurde die Wahner Heide als Naturschutzgebiet ausgewiesen, eine Karte aus selbigem Jahr gibt den Zustand und die Grenzen wieder.

Störungsfreiheit durch Militärisches Sperrgebiet: Vergleichsprojekt Peenemünde

Doch schon ab 1933 trat wieder die Verwendung als Übungsplatz in den Vordergrund, zunächst durch die Polizei, ab 1936 durch die Wehrmacht. Unter dem Stichwort „Störungsfreiheit“ leitete Dr. Franke in seinem Vortrag zu einem Vergleichsprojekt über, dem des Sperrgebietes Peenemünde auf Usedom, als Versuchsgelände für die V2-Rakte, ab 1943 in den Taunus verlegt, woran sich eine damals dort wohnhafte Vortrags-Teilnehmerin noch erinnern konnte. Jedenfalls, worauf Herr Franke hinaus wollte: Auch nach der Verlegung des V2-Projektes, und auch nach der Übernahme des Geländes durch die Alliierten nach Kriegsende, und auch nach der Übernahme durch die Bundesrepublik: das Gelände ist bis heute Sperrgebiet für die Zivilbevölkerung geblieben – gut für Seeadler, Schwarzstorch & Co., die als störungsempfindliche Spezies mit der Öffnung für Erholungssuchende und Naturfreunde hier wohl längst verschwunden wären. Ob Seeadler bei Peenemünde oder Heidelerchen in der Wahner Heide – unter der Zielvorgabe „Störungsfreiheit“ für ein Gelände (und dessen natürliche Bewohner) finden Vertreter zweier Bewegungen / Institutionen zueinander, die ansonsten gar nichts miteinander gemein haben, zur Überraschung beider.

Nachkriegszeit: neue Chance für den Naturschutz in der Wahner Heide?

Die Wahner Heide blieb auch nach 1945 militärisches Übungsgelände, jetzt für die belgischen Streitkräfte, und damit Sperrgebiet, was aus Sicht der Naturschützer durchaus ein Pluspunkt war. Dies befand auch W. Erz in seinem wissenschaftlichen Gutachten von 1967, in welchem er die Zusammenhänge von militärischer Präsenz in der Wahner Heide und den Vorteilen für die Vogelwelt (sein Spezialgebiet) beschrieb, aber auch für die übrige Tier- und Pflanzenwelt. Sein Fazit: selbst wenn nur am Wochenende die Besucherscharen (mit ihren freilaufenden Hunden) in die Wahner Heide strömen, bedeutet dies einen größeren Störfaktor v.a. für die Brutvögel als die nur sowohl zeitlich als auch räumlich konzentriert auftretenden Übungstruppen.

Das Phänomen kennt man, wie schon beschrieben, auch von anderen Übungsgeländen, fragt sich nur: stimmt das so auch, und gibt es inzwischen nicht auch andere Erfahrungen und Konzepte für einen naturverträglichen Umgang mit menschlichen Durchzüglern, Stichwort Besucherlenkung? Dazu gab es auch Wortmeldungen aus dem Besucherkreis, eine lautete sinngemäß: „Ich gehe seit mehr als 40 Jahren in die Wahner Heide, auf meinen Wegen, und lasse mir von denen da doch nicht vorschreiben, wo ich langlaufen darf!“.

Eine weitere Meldung kam von Moritz Pechau, aus dem Naturschutz kommend, inzwischen in der Landwirtschaft angekommen, als Betreiber des Glanhofes. Er verwies darauf, dass in früheren Zeiten die Heidelandschaft voll gewesen sein von Menschen, allerdings eher arbeitenden als spazierenden, zum Plaggenhieb, Torfstechen, Viehtrieb, Getreideernte, und dennoch war Raum genug für eine überreiche Tier- und Pflanzenwelt, im Vergleich zu heute, offenbar macht es einen Unterschied, wo, wie und wann man sich in der Landschaft bewegt. Inmitten einer Ziegenherde wird man als Mensch vom Kiebitz wohl weniger als Bedrohung wahrgenommen als inmitten der Großfamilie.

Flughafen Köln / Bonn: Bittere Niederlage für den Naturschutz

In der Wahner Heide spielte in der Nachkriegszeit jedoch noch ein weiterer Player eine Rolle, welcher die anderen Themen fast schon in den Hintergrund drängte: 1958 bekam der bisherige Feldflughafen die Genehmigung zum Ausbau als internationaler Flughafen, dem Flughafen Köln / Bonn. So entstand recht schnell inmitten der eigentlichen Wahner Heide, dem Herzstück, der Flughafen, 1000 von 5000 ha, Dr. Franke: „Eine bittere Niederlage für den Naturschutz. Von nun an ging es nur noch um die Frage, was vom Rest der Wahner Heide noch zu retten war“.

Der ist in der Tat wertvoll und schützenswert genug, doch mit dem Abzug der belgischen Streitkräfte 2004 änderte sich die Situation erneut, denn damit war die Schranke vor den Besucherströmen endgültig gefallen, und es stellte sich generell die Frage für das ganze Gebiet: was nun? An dieser Stelle verwies nochmals Moritz Pechau darauf, dass bereits 1985 ein erster Biotop-Entwicklungsplan erstellt wurde, vom Ökologischen Arbeitskreis, sozusagen der jüngeren Naturschützer-Generation. Damals ist es nicht gelungen, mit „diesen Naturschützern“ zusammen zu arbeiten, seitens der Vertreter von Flughafen, Forstwirtschaft, Kreisen und Gemeinde bei der Planung von Naturschutz-Maßnahmen.

Man redet wieder miteinander. Ein bißchen…

Inzwischen hat sich die Stimmungslage entspannt und man redet sogar miteinander. Das begrüßte auch Frau Tesch, vom Amt für Umwelt, Grünflächen und Friedhofswesen der Stadt Troisdorf, merkte aber an, dass in Sachen Miteinander noch Luft nach oben ist, auch seitens und unter den Naturschützern. So gibt es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen darüber, ob man zur Beruhigung eines Naturraumes die Bevölkerung konsequent ausschließen oder mitnehmen soll.

Dr. Frankes Aussage dazu war eindeutig: überall dort, wo man ersteres (Aussperrung) versucht hat, ist der Naturschutz krachend gescheitert.

Denn ohne die Akzeptanz und die Unterstützung für eine natürliche Umgebung vor der eigenen Haustür ist kein Naturschutz zu machen, man setzt sich nur ein für etwas das man kennt, und an dem man teilhaben kann.

Fazit: Der Mensch und die Natur, ein weites, an einem Abend nicht zu ergründendes Feld

Für diesen Montag-Abend waren die Besucher des einstündigen Vortrages jedoch mit Informationen gut versorgt. Interessant war es auf jeden Fall, anhand der historischen Entwicklung aufgezeigt zu bekommen, warum Menschen das machen, was sie so machen, sich für die Natur zu interessieren, und zu engagieren, manche eher für einen bestimmten Teil dieser Natur, Vögel oder Blumen, und warum sich daraus unterschiedliche Gruppen bilden, denen es oft nicht gelingt, das gemeinsame Ziel oder zumindest den gemeinsamen Nenner im Auge zu behalten. Der Mensch, ein weites Feld, der an diesem Abend natürlich nicht vollständig ergründet werden konnte, aber oftmals hilft es schon, wenn einem der Blick über den Tellerrand hinaus ermöglicht wird, vom Teller der Wahner Heide aus gesehen: was vor 100 Jahren auch schon so oder so ähnlich hier und anderswo war, und was in Peenemünde ähnlich oder anders wie hier läuft. Auch für den einen oder anderen Naturschützer in den Sitzreihen eine ach-so-Erfahrung über sich selbst.